Impuls: Muss ich etwas zurückbekommen?
Wenn ich etwas „schenke“, erwarte ich dann nicht immer etwas zurück? Kann ich wirklich absichtslos geben?
Muss etwas zurückkommen? Sei es ein materielles Geschenk, Zeit, eine Einladung zum Essen, ein Ratschlag oder indem ich etwas Persönliches von mir erzähle: Wenn ich etwas „schenke“, erwarte ich dann nicht immer etwas zurück? Kann ich wirklich absichtslos geben? Ohne versteckte Hintergedanken? Früher hätte ich voller Idealismus gesagt: „Klar, so schwer ist das doch nicht!“ Mittlerweile bin ich mir nicht mehr so sicher. Zumindest freue ich mich doch, wenn ich jemanden zu mir eingeladen habe und dann auch mal zu ihm kommen darf; oder wenn er sich wenigstens bedankt. Schenke ich jemandem mein Vertrauen, so bin ich doch enttäuscht, wenn es über längere Zeit nicht erwidert oder gar ausgenutzt wird. Ist die Erwartung dahinter so ganz falsch? Vielleicht ist sie in uns angelegt, um uns zu mehr Gegenseitigkeit zu animieren; uns zu helfen, Beziehungen aufrechtzuhalten, wiederherzustellen oder zu vertiefen. Die Erwartung ist so lange nichts Bedrohliches, wie ich damit umgehen kann, dass sie machmal enttäuscht wird. Also dann nicht dicht mache und dem Betreffenden den Rücken zukehre. Und: Gabe und Gegengabe brauchen ihren Spielraum. Ich darf sie nicht gegeneinander aufrechnen: Dir hab ich etwas für zwanzig Euro mitgebracht, wie viel Wert hat dein Geschenk? Es lässt sich nicht alles genau vergleichen. Es kommt darauf an, dass es überhaupt zu einer Gegenseitigkeit kommt: Ich hab für dich Rasen gemäht und du hast mir vielleicht einen Kuchen gebacken. Oder ich habe über Jahrzehnte immer wieder mal diesen einen Freund besucht und er ist nie zu mir gekommen; aber das eine Mal, wo es mir dreckig geht, ist er plötzlich da und steht mir bei. Wir können das Prinzip von Geben und Empfangen auch über Zweierbeziehungen hinaus verstehen: Bei dem Verhältnis zu einem Bekannten habe ich den Eindruck, immer nur zu geben. Wenn ich nachdenke, fällt mir dafür jemand anderes ein, bei dem die Einbahnstraße in meine Richtung verläuft: Ich bekomme ständig etwas von ihm und war mir dessen bisher gar nicht bewusst. Eventuell ergibt sich also aus einer ganz unerwarteten Richtung ein Ausgleich. Wäre das Schenken und Geschenktbekommen immer ausgewogen und aufeinander abgestimmt, wäre das Leben wohl langweilig: Kreativität und Überraschung gingen verloren. Es braucht das Spielerische. Und die Freiwilligkeit. Ohne sie macht das beste Geschenk keine rechte Freude. Achten wir doch mal darauf: Was geben wir alles? Wem? Und was erhalten wir alles? Von wem? Nicht nur im materiellen Sinn gedacht! – Vermutlich werden wir erstaunt sein, wie viele „Gaben“ unter uns schon kreisen: ein Zeichen für Lebendigkeit im Geflecht unserer Beziehungen!
Clemens Behr
Quelle:
Editoral NEUE STADT 6/2019