„Use your opportunities“ :) Marketingtipps für die Gewinnung von Freiwilligen

Aus dem Leben eines Engagementberaters: Beratung an der Bar

von Jens Schunk am anderen Ende von Deutschland

Bin außerhalb auf einem ziemlich anstrengenden Workshop gewesen. Abends im Hotel konnte ich irgendwie nicht einschlafen, deshalb beschloss ich spät, noch auf ein kleines Bier in die Hotelbar zu gehen. Nur zwei Personen hingen noch an der Bar rum, unschwer als Geschäftsreisende zu erkennen. Kaum hatte ich das Bier bestellt, wurde ich auch schon von den beiden angesprochen und in ihre Mitte genommen. Wahrscheinlich hielten sie mich wegen meines mauve-farbenen Jacketts, geerbter Zweireiher mit großen Schulterpolstern (kommt, glaube ich, gerade wieder in Mode), für Ihresgleichen.Rechts von mir der Mann – circa 45 Jahre alt, braungebrannt, dynamische Ausstrahlung – stellte sich als Matthias Schmidt vor, Senior Consultant aus dem Bereich Product-Lifecycle-Management, und links von mir Frau Anett-Sophie Benzen – circa Anfang 30, schickes, aber strenges Kostüm – Advisory-Strategy, Marketing and Operations. Beide tätig für die Unternehmensberatung McFinsey, wie mir ihre Visitenkarten erklären. Schnell fummle ich eine übriggebliebene Visitenkarte aus der Hosentasche. Schunk, Berater, also auch sowas wie sie, nur in einer anderen Branche, stelle ich mich mit einem Schmunzeln vor. Durch den leicht glasigen Blick der beiden und die etwas wirre Frisur von Frau Benzen vermutete ich, dass der Aufenthalt an der Bar schon etwas andauerte.

„Also auch im Business tätig?“ nuschelt Frau Benzen, während Herr Schmidt drei Tequila orderte und dem Bar-mann ein Zeichen gibt, leere Gläser beständig nachzufüllen.„Welche Branche?“
„Ja also, ich leite eine Freiwilligenagentur. Wir beraten Menschen die sich freiwillig…“
„Interessant!“ rief Frau Benzen etwas zu laut und kippt dabei einen Tequila.
„Also Herr, äh …. Schunk“, beginnt Herr Schmidt, während er mir einen Schnaps reicht, „wir sind im Prinzip auch Freiwillige. Unsere Firma hat ein CSR-Programm aufgelegt um soziale Einrichtungen zu puschen. Das machen wir sozusagen in unserer Freizeit. Jetzt zeig ich Ihnen mal hier und jetzt, wie wir mal aus der Hüfte asap den Beratungsprozess for free aufgleisen.“
Bin etwas überrumpelt. „Äh, vielen Dank, aber …“
„Das ich nicht lache, du willst doch nur bei der alljährlichen Performance-Bewertung deine Bonuszahlung und die Aufstiegsoption aufwerten“, fällt Frau Benzer Herrn Schmidt ins Wort. Und setzt dabei ein so sardonisches Lächeln auf.
„Pass Du nur auf, wenn Du weiter so abrockst, bist Du bald auf der fast lane ins C-Level“, erwidert Schmidt grinsend.“
Vielleicht ist es der mittlerweile dritte Tequila, jedenfalls bin ich etwas verwirrt. Aber ich denke mir, das sind Profis, wahrscheinlich gehört das so zum freundschaftlich, professionellen Ton im Unternehmen. Frau Benzer wendet sich wieder mir zu: „Herr Schunk, Du bist also äh…. Be-Ra-Ter. Hast Du bei euch in der Company auch den Lead?“
Ach die Frau ist toll, die hat Menschenkenntnis. Sofort erkennt sie in meinem Gesicht, dass ich bei uns den Hut aufhabe.
„Ich meine: Bist Du in deinem Laden der CEO, der Chief Executive Officer?“ Wobei sie etwas laut spricht.
„Na ja, bei uns heißt das nicht so richtig Chef, aber ich leite die Einrichtung“, versuche ich zu erläutern.
„Was `n Looser“, nuschelt Frau Benzer in ihr Glas.
„Dann geben Sie uns mal ein Upgrade was so läuft bei Ihnen“, fällt Herr Schmidt mit einem Seitenblick auf Frau Benzer ein.
„Na ja, wir haben da so ein kostenloses Angebot, das läuft eigentlich ganz gut, wenn sicherlich noch ausbaufähig“, versuche ich mit einem etwas krampfigen Lächeln von mir zu geben.
„Jaaaaa, sowas höre ich jeden Tag.“ Er holt ein kleines Lederetui heraus, nimmt eine Zigarre raus, beißt ein Stück ab, spuckt es auf den Boden und zündet sie an. Dann bietet er sie mir an.
Jetzt bloß nicht klein beigeben, denke ich. „Gerne“, sage ich und nehme die sehr feuchte, angesabberte brennende Zigarre.
Plötzlich kommt Frau Benzer mir ganz nah und flüstert mir ins Ohr: „Wenn ich dich so anschaue, dann glaube ich, dass Dir eine Beratung ganz gut tun würde.“
Bin etwas irritiert: Frage, was sie mit Beratung so meint.
„Open the Possibilities, bei Dir sehe ich noch ein paar Targets, die zu erreichen sind“, schießt es plötzlich aus ihr heraus, bevor sie kräftig aufstößt.
„Aber eigentlich kann ich mich nicht beklagen“, gebe ich etwas kleinlaut zurück.
„Sooooo spricht ein Underperformer“, mischt sich Schmidt ein. „Dabei willst Du bestimmt zu den High-Potentials gehören, oder?“
„Ich glaube schon…“
Herr Schmidt ist noch näher gekommen und hat seinen Arm freundschaftlich um meine Schulter gelegt:
„Und deine Kollegen? Gibt’s da ein Commitent für den Spirit in deiner Company?“
„Äh, Wahrscheinlich schon. Wir arbeiten gerne zusammen.“
„Ich kann Dir ruck zuck ein Risk -Profile für Deine Company erstellen“, bietet er mir in verschwörerischen Ton an.
Langsam mache ich mir Sorgen. Wie kommen sie darauf, dass es so schlimm aussieht?
„Naja, da sind very much Fingers on the Market“, erklärt er mir verschwörerisch, während er die Schulterpolster meines Zweireihers durchknetet.
„Du musst mehr Value adden, sonst wird das ein Hard-Sell.“
Jetzt werde ich nervös und nehme einen Schluck aus seinem goldenen Flachmann, den er irgendwoher gezaubert hat. Brennt wie Feuer, ich muss husten. Er klopft mir auf den Rücken.
„Du brauchst im Beratungsgeschäft schon Cochones, verstehst Du?“, wobei er sich Gottseidank in den eigenen Schritt fast.
Jetzt fällt Frau Benzer von der anderen Seite wieder ein: „Diese Discussion sollten wir im Inner-Circle führen. Wir könnten hochgehen und mit einem Kick-Off-Meeting beginnen. Hast du schon mal ein Visionstatement entwi-ckelt? So was wie zum Beispiel: Make Ehrenamt great again!“ Und nach einem Blick auf meine Visitenkarte: „Auch Dein Branding lässt übrigens zu wünschen übrig!
„Oh je! Ich weiß nicht, bin schon etwas müde“, antworte ich.
„Dann könnten wir beide ein paar Milestones festlegen und nach dem Benchmark in Deiner Branche schauen.“
„Hoffentlich ist das nicht das Mehrgenerationenhaus gleich um die Ecke“, gebe ich zu bedenken.
„Das gibt eine schöne To-Do-Liste“, ergänzt Schmidt
„Was könnte das den so sein?“, frage ich nach.
„Go to Market!“
„Schau Dir doch mal deine Kunden an!“, fällt Frau Benzer ihm ins Wort. „Noch nie gewundert, dass die alle Zeit haben, am helllichten Tag? Was ist das denn für eine Zielgruppe? Lame Ducks“, wobei sie etwas schwankt. „Und erzähl mir nichts von den soft Skills der Leute. Bla, bla, bla. Achtsamkeit, emotionale Intelligenz, jeder hat Fähig-keiten und so‘n Zeugs. Aber wahrscheinlich liegt‘s an Eurem Customer-Service, dass keiner für eure Leistung zahlt. Wenn ich Dich so ansehe, bin ich mir sicher, dass auf Eurer Webseite mit Sicherheit keine Expectations erzeugt werden!“
So langsam fühle ich mich unwohl und habe keine Ahnung, was hier gerade abläuft. Nehme noch einen Tequila.
Schmidt, der zwischenzeitig seinen Kopf an einem meiner Schulterpolster gerieben hatte, ergänzt: „Auch Cross-Sell wäre möglich, zum Beispiel ‚Kunden, die sich hier engagiert haben, kaufen auch bei Mediamarkt ein‘.“
„Oder: ‚Alle 11 Minuten engagiert sich ein Hamburger Single über die Freiwilligenagentur‘“, kichert Frau Benzer in mein Ohr.
„Ist das nicht ein bisschen geklaut?“, frage ich.
„Kunden gewinnt man nicht über den Kopf, sondern durch Emotionen“, haucht sie mir zu, wobei ich ihren Tequilaatem riechen kann.
Irgendwie muss ich plötzlich an Rainer Brüderle denken. Weiß auch nicht, warum.
„Think outside the Box“, kommt von Schmidt auf der anderen Seite. „More Flexibility. Nur informieren reicht heute nicht mehr. Be proactive. Sonst wirst du nie das nächste Level erreichen. Mann, Ich biete Dir hier kostenlos einen echten Knowledge-Transfer an. Auch Deine Diversity ist kläglich. Nenn mir doch ein paar Keywords.“
„Ehrenamtlich, freiwillig, engagiert?“, erwidere ich.
„Mein Lieber, das sind doch hohle Phrasen! Mageres Portfolio. Wo ist denn da der Content. Wo bleibt da der Wow-Factor?“
„Naja, die Leute kommen gerne zu uns“, gebe ich zurück.
„So, wie Du hier sitzt, solltest du dir mal Gedanken über Deinen Workflow machen. Beratung scheint mir jeden-falls nicht deine Core-Competenz zu sein Du musst auf Weak-Signals im Market noch proaktiver reagieren. Das hat High-Priority.“
Frau Benzer verdreht die Augen und säuselt: „Deine Unit braucht ein Corporate-Fitnessprogramm, ihr braucht Visionen, mit denen ihr die Customer begeistert. Ich sehe da was vor mir: Mann, um die 50, so Typ Silversurver, sportlich, braun gebrannt, silbergraues Haar, fährt in einem nagelneuen, teuren Cabrio eine atemberaubende Küstenstraße kurz vor Sonnenuntergang entlang, du weißt schon, das gibt ein gutes, weiches Licht, für den Teint und so, und neben ihm eine junge, wunderschöne Frau, so italienischer Typ, könnte auch in der Branche sein, ihre Haare wehen im Wind. Sie trägt eine teure Sonnenbrille. Weit unten glitzert das Meer. Und hinten im Wagen eine ältere Dame, aber gepflegt muss sie sein, Guccituch usw. Die Seniorin ist gerade von ihnen abgeholt worden, im Rahmen des Seniorenbesuchsdienstes. Und dann so im Abspann: Freiheit ist auch immer die Freiheit der Anderen.“
„Du hast doch zero Visibility“, lallt Schmidt. „Du musst das mal globalgalaktisch top-down diskutieren.
Ach, und wer will denn alte Frauen sehen. Wie wäre es damit: Vier moderne Frauen, so um die 25, Seitenblick auf Benzer, in einem schicken, angesagten Café, so hipster-mäßig. Es gibt Kaffeespezialitäten und prachtvolle Sahnetorten, aber so aus gesundem Zeug, so bio oder vegan, wegen Eurer Kundschaft, die mag doch so was. Zwei blonde Kinder sitzen mit am Tisch, gute Klamotten, aber nicht übertrieben. Eines der Kinder hat sich beim Essen etwas Sahne an die Oberlippe geschmiert. Die Frau neben den Kindern, sehr sexy Typ, aber auch mütterlich, wischt mit einer Stoffserviette über die Oberlippe, schaut etwas schelmisch streng und fängt dann mit den Kindern an zu lachen, während die anderen Frauen neidisch zuschauen. Ich mein, man sieht dass die noch im gebärfähigen Alter sind. Aber die sehen eben auch berufstätig aus, denn die haben so Business-Kostüme an. Großaufnahme auf die glücklichen Gesichter der Kinder. Und dann so: Klar machen eine Patenschaft so für Kinder, so für 2 Stunden in der Woche, macht Spaß und man muss nicht mal schwanger werden und sich die Figur versauen.“
„Idiot“, zischt Frau Benzer, kippt noch einen Tequila und wendet sich wieder mir zu: „Der Typ ist so ein Minder-leister. Aber ich hab‘s. Tiere! Tiere gehen doch immer. Das wird fantastisch. Ich sehe eine gut gekleidete Frau, so in meinem Alter, sexy aber konservativ, mit eleganter Hochsteckfrisur. Sie gibt eine gehobene Gartenparty. Ihre Freundinnen, alles Topfrauen, stehen in losen Gruppen mit Champagner in der Hand auf dem wunderbaren Gartenareal. Ihr Mann, ein unglaublich gut aussehender Typ, sportlich, in Golfklamotten, man sieht ihm seinen beruflichen Erfolg quasi an, huscht vorbei und küsst sie auf den Nacken. Sie lacht auf und die Frauen um sie herum stimmen auch lachend ein. Eine Bedienstete, so schwarzes Kleid, weiße Schürze und weiße Haube kommt mit einem total süßen, kleinen, weißen und puscheligen Hund auf dem Arm vorbei und erklärt, dass der Hund gerade erfolgreich sein Geschäft gemacht hat. Die Frauen um sie herum alle so: ‚Ach ist der süß, bravo, ist der aber niedlich‘. Und die Besitzerin sag: ‚Braver Hund‘ und reicht dem Hund ein Leckerli. Und dann so aus dem Off eine geschmeidige Stimme: ‚Hilfe für Tiere in Not kann so einfach sein. Engagieren Sie sich im Tierschutz.‘ Fantastisch, oder?“
„So ein Mist, dass würdest Du doch nie greenlighten, oder?“, fragt mich Schmidt, und bevor ich antworten kann: „Wir müssen das Thema weiter stressen. Sonst kriegt es keine Traction. Ich glaube, dass braucht viel mehr Aktion. Ich stell mir das so vor: Es ist dunkel. Eine Frau läuft über einen spärlich beleuchteten Platz mit Kopf-steinpflaster. Es hat geregnet. Die Schritte der Frau hallen durch die Nacht. Sie hat so einen beigen Regenmantel mit Gürtel an, so 50er-Jahre mäßig und ein Kopftuch auf. Plötzlich hört sie noch weitere Schritte. Großaufnah-me auf ihr Gesicht. Hübsch aber etwas Babyspeck. Große, feucht glänzende Augen, lange Wimpern, sie schaut sich etwas ängstlich um und beschleunigt ihren Gang. Woher die Schritte hallen, weiß man nicht. Sie biegt vom Platz in eine Unterführung ein. Ein schmaler, enger Tunnel, nur wenige Neonröhren funktionieren noch. Es gibt Bereiche im Tunnel, die im Dunkeln verschwinden. Jetzt hört man noch mehr Schritte von hinten. Die Frau fängt an zu laufen, hat aber hohe Absätze. Großaufnahme von vorn. Gehetzter Blick und dann erkennt man im Hintergrund schemenhaft mehrere Personen, die schnell aufholen. Und dann so Geigen wie bei Hitchcock: iiick, iiick, iiick. Die Frau erreicht endlich das Ende des Tunnels und plötzlich eine Stimme: Hallo Renate, du bist aber spät dran heute. Schnitt. Hell erleuchteter Platz. Renate wirft ihren Mantel und ihr Kopftuch ab. In Slowmotion schüttelt sie ihr langes, lockiges Haar. Aus dem Tunnel kommt eine Gruppe Obdachloser. Und Renate, die jetzt so einen kurzen, weißen Kittel anhat, so Krankenschwester mäßig, schnappt sich eine Suppenkelle und strahlt über das ganze Gesicht, während sie bei der mobilen Essensausgabe Suppenschüsseln füllt. Und dann so in Großbuchstaben: ‚Freiwilliges Engagement für Obdachlose. Bring mehr Spannung in Dein Leben.‘ Na, was sags-te jetzt, Benzer?“
Frau Benzer sagt gar nichts mehr. Ihr Kopf liegt mittlerweile auf dem Tresen in der Lache eines umgekippten Tequilaglases.
So langsam bin auch ich bettschwer. Deshalb wende ich mich an Schmidt: „Ich bin dann mal raus aus dem Call. Ich kann hier keinen Value mehr adden. Gehe jetzt mal in die Recreation-Phase, so wegen der Work-Life-Balance und suche die Homebase auf. Ich bin eher der Team-Player. So one to one fehlen mir vielleicht die Basics. Aber ich seh‘ da jetzt schon ein Market-Window. Jetzt mache ich mit meinem Team mal ein Mind-Share und dann schauen wir mal was so in der Pipeline ist.“
„Na also, geht doch“, grunzt Schmidt, bevor er vom Stuhl kippt. „Use your Opportunities.“
Alles in allem doch noch ein toller Abend. Insgesamt 11 Tequilas umsonst und noch eine super Beratung.
Autor: Jens Schunk, Leitung ASB Zeitspender-Agentur Hamburg
© Jens Schunk, 2017